Rohrbeck Heger GmbH

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    Strategic Foresight Insights

01.12.2017

Management in times of transition – Die Mobilität von morgen

Von Tobias Heger und Dr. Sebastian Knab

Mobilität im Umbruch

Der Mobilitätssektor befindet sich inmitten eines fundamentalen Umbruchs. Seit Erfindung des Verbrennungsmotors im späten 19. und der Fließbandfertigung im frühen 20. Jahrhundert erlebt der motorisierte Individualverkehr eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Durch die zunehmende Sensibilisierung für seine negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sowie die unaufhaltsam fortschreitende Digitalisierung könnte diese Erfolgsgeschichte jedoch bereits in wenigen Jahrzehnten ein Ende jähes finden. Der Trend zu neuen Mobilitätskonzepten wie dem Car Sharing und Mobilitätsstationen, multi-modale Mobilität, alternativen Antrieben wie der Elektromobilität, und dem autonomen Fahren scheinen unaufhaltsam. Die tiefgreifenden Konsequenzen scheinen auf Grund der Vielschichtigkeit und Komplexität der Veränderungen in vielen Top Management Etagen allerdings noch weitestgehend unklar.

Die Wissenschaft bezeichnet einen solchen Umbruch als sozio-technische Transition (dt. „Übergang“). Der Begriff bezeichnet einen fundamentalen, strukturellen Wandel eines gesellschaftlichen Systems durch die Ko-Evolution technologischer, ökonomischer und kultureller Entwicklungen. Eine sozio-technische Transition umfasst interdependente Veränderungen technischer Möglichkeiten, ökonomischer Wirkungszusammenhänge, individueller und kollektiver Denk- und Verhaltensmuster sowie institutioneller Rahmenbedingungen. Kennzeichnend für sozio-technische Transitionen ist das Auftreten vielfältiger, interdependenter und aufeinander aufbauender Innovationen in mehreren Sub-systemen, sogenannte systemische Innovationen, die erst gemeinsam eine Transition ermöglichen. Sozio-technische Transitionen haben meist weitreichenden Folgen weit über einen bestimmten Sektor oder eine Industrie hinaus.

Ein historisches Beispiel für eine sozio-technische Transition im Mobilitätssektor ist der Wandel von der Pferdekutsche zum motorisierten Automobil. Ausgelöst durch mehrere technische Innovationen, den Verbrennungsmotor, die Herstellung von Kraftstoff aus Erdöl, und die Fließbandfertigung, bedeutete dieser Wandel weit mehr als den Ersatz von Pferden durch Motoren. Neue Straßen mussten gebaut werden – damit entstand die Straßenbauindustrie. Ein Tankstellennetz entstand – ein neuer Geschäftsbereich für Erdölfirmen. Der zunehmende Straßenverkehr musste geregelt werden und die Straßenverkehrsordnung entstand – neue Gesetze und Behörden wurde gebraucht. Der Führerschein wurde eingeführt und damit Fahrschulen und ein Prüfsystem und der Herstellungsprozess gliederte sich nach und nach in ein System aus OEMs und einer umfassenden und hoch spezialisierten Zulieferindustrie. Die Idee und anschließend Norm des privaten Autobesitzes entstand, nicht selten auch als Statussymbol.

Überforderung traditioneller Managementpraktiken

Für Unternehmen bergen Transitionen sowohl große Chancen als auch Herausforderungen. Transitionen brechen traditionelle Industrien auf und eröffnen völlig neue Märkte an deren Schnittstellen oder jenseits bisher als gegeben angenommener Grenzen. Proaktive Unternehmen können diese Märkte erschließen und so gestalten, dass sie über viele Jahre eine für den Wettbewerb nur schwer einzuholende Marktposition erreichen. Gleichzeitig bedeutet eine Transition auch schnelle, unsichere und systemische Veränderung, auf die gerade etablierte Wettbewerber häufig nur schlecht vorbereitet sind.

In stabilen Industrien bilden sich im Laufe der Zeit Marktregeln, die allen Marktteilnehmern bekannt sind. Veränderung ist größtenteils evolutionär und Unternehmen – wenn vielleicht auch nicht in jedem Detail – kennen die Roadmaps und zukünftigen Produkte ihrer Wettbewerber, Zulieferer und Partner, sowie zu erwartende institutionelle und regulatorische Entwicklungen. Das Kundenverhalten ist absehbar und kann über verbreitete Methoden gut in die Produkt- und Dienstleistungsentwicklung einbezogen werden. In der Unternehmensplanung kommen Instrumente wie lineare Planung, Benchmarking und heuristische Planungs-, Optimierungs- und Strategieansätze zur Anwendung und liefern meist zufriedenstellende Ergebnisse.

Es stellt sich nun aber die Frage, wie Unternehmen erfolgreich in Zeiten der Transition planen und sich bestmöglich darauf vorbereiten können. Sind die gleichen Ansätze anwendbar? Kernfragen, die sich das Management stellen müssen, sind z.B.

·       Gibt es Zeichen dafür, dass sich das Verhalten meiner Kunden verändern grundlegend könnte?

·       Kann ich mit einiger Sicherheit abschätzen, wie die Industrie in weiter entfernter Zukunft aussehen wird oder überwiegt die Unsicherheit?

·       Deuten sich rechtliche oder regulatorische Veränderungen an?

·       Kenne ich meine Wettbewerber oder ist bereits absehbar, dass neue Marktteilnehmer kurz vor dem Eintritt stehen?

·       Weiß ich, was von neuen Marktteilnehmern zu erwarten ist oder wurde ich gar kürzlich überrascht?

Kenne ich die Geschäftsmodelle meiner Wettbewerber, sind neue absehbar oder kürzlich entstanden? In der Mobilität sind die Antworten zu vielen dieser Fragen aktuell sicherlich „nein“. Es kommen stetig neue Marktteilnehmern an vielen Stellen des Wertschöpfungsnetzwerks hinzu. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass DHL zum ernstzunehmenden Hersteller von Elektrotransportern wird? Bisher undenkbare Geschäftsmodelle entstehen oder werden aus anderen Industrien übernommen, z.B. Ridesharing. Wettbewerbsregeln scheinen an Gültigkeit zu verlieren und ein eindeutiges Zukunftsbild der Mobilität ist nicht erkennbar, nicht einmal das Zusammenspiel mit anderen Industrien scheint klar. Plötzlich tummeln sich weltweite Größen wie Google und Apple gefährlich nahe am eigenen Geschäft und neue, ernstzunehmende Wettbewerber wie Uber entstehen. Tesla, oberflächlich betrachtet nur ein neuer Automobilhersteller mit einem anderen Antriebskonzept, hat nebenbei den After Sales Bereich grundlegend verändert und kombiniert nun auch Industrien auf eine neue Art, in dem Sie zum Beispiel in der Heimversorgung über die Powerwall und Solardachziegel mitmischen.

Während erfolgreiche neue Unternehmen – Startups im weiteren Sinne – meist mit einer Idee starten und so agil, flexibel und schnell agieren können, dass sie in kurzer Zeit ein funktionierendes Produkt und Geschäftsmodell entwickeln, tun sich größere und etablierte Unternehmen mit diesem Vorgehen schwer. Die Gründe sich zahlreich, grundlegend und können nur schwerlich abgestellt werden. Es überwiegt meist der Fokus auf Effizienzsteigerungen, Optimierung des bestehenden Produktportfolios und inkrementelle Innovationen. Somit ist es letztendlich der stetige Versuch, im Wettbewerb mit weiteren bestehenden Marktgrößen Anteile zu gewinnen. In Zeiten der Transition besteht aber die realistische Gefahr, dass die gesamte Industrie sich so stark verändert, dass ebendiese Marktgrößen der Vergangenheit an Relevanz verlieren werden und somit der eigene Fokus fehlleitet.

Instrumente, um Veränderungen systematisch zu erkennen, zu interpretiert und Aktionen daraus herzuleiten sucht man in vielen Unternehmen vergeblich. Es werden durchaus Studien, Workshops und Projekte durchgeführt, manchmal gibt es auch Abteilungen mit scheinbar ebendiesem Auftrag, aber in den meisten Fällen wird sucht man spätestens die Ableitung und Vorbereitung von Maßnahmen vergeblich. Darüber hinaus werden trotz häufiger Betonung der eigenen Offenheit externe Quellen vollkommen unzureichend einbezogen. Dabei ist es z.B. durch Zulieferer, Kunden, Verbände und Netzwerke, akademische Kooperationspartner, Patent- und wissenschaftlichen Datenbanken, sowie zahlreichen öffentlichen Quellen, ein Leichtes, an die notwendigen Informationen zu kommen.

Als Folge von unzureichendem Verständnis von Veränderung überwiegen in Produkt-, Service- und auch FuE-Portfolios kurzfristige Aktivitäten, während längerfristige Themen vernachlässigt und große Zukunftschancen nicht aufgegriffen werden. Mangelnde Berücksichtigung von Weitsicht und langfristigem Erfolg bei Zielvorgaben, Personalentwicklung und Vergütung sind dabei in vielen Unternehmen Teil des Problems.

Management in Zeiten sozio-technischer Transitionen

Wie kann also ein Unternehmen auf eine unsichere Zukunft vorbereitet werden? Erfolgreiches Agieren in unsicheren Zeiten erfordert Weitsicht – im Englischen auch Strategic Foresight genannt – und Flexibilität.

Es muss somit ein Verständnis für Veränderung, für systemische Effekte und Verschiebungen entwickelt werden. Darauf basierend gilt es, deren Folgen abzusehen – sowohl für das am Markt als auch für das eigene Unternehmen – und mit diesem Verständnis neue, erfolgreiche Strategien zu entwickeln. Die eigenen Handlungsmöglichkeiten müssen erkannt und abgewogen werden um so im richtigen Moment schnell und adäquat reagieren zu können – und diese Entscheidung auch getroffen werden.

Systematische Erhöhung der Zukunftsorientierung eines Unternehmens wird durch drei Fähigkeiten sichergestellt:

1.      Vorbereitet sein: Veränderungen früh und systematisch erkennen, sowohl in der Breite als auch Tiefe.

2.      Verständnis schaffen: die Bandbreite möglicher Veränderungen und deren Einfluss auf den Gesamtmarkt, sowie das eigene Geschäft verstehen, neue Märkte explorieren und Handlungsoptionen erarbeiten.

3.      Aktionen vorbereiten: Portfolio auf die Zukunft ausrichten, neue Lösungen entwickeln und zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickeln. Voraussetzungen schaffen, auch radikale Innovationen erfolgreich zu verfolgen – sowohl in bestehenden Strukturen als auch über Kooperationen, Spin-Offs und Akquisitionen.

Fähigkeit Vorbereitet sein Verständnis schaffen Aktionen vorbereiten
Ziel Die Zukunft überblicken und Unsicherheit reduzieren Systemzusammenhänge verstehen und gemeinsame Visionen entwickeln Aktivitäten orchestrieren und systemische Innovationen kollaborativ planen und implementieren
Herangehens-weise Veränderungen identifizieren:

·     Gesellschaftliche  Dynamiken

·     Markttrends

·     Technologische Entwicklungen

·     Fortschritt in der Wissenschaft

·     Neue Geschäftsmodelle, Wettbewerbsveränderung

·     Politische und regulatorische Veränderung

·     Interne Entwicklungen

Veränderung verstehen:

·     Abhängigkeiten und Zusammenhänge verstehen

·     Treiber und Barrieren identifizieren

·     Systemische Effekte identifizieren und verstehen

·     Chancen und Gefahren erkennen

·     Eigene Voraussetzungen evaluieren, Stärken und Schwächen identifizieren

·     Handlungs-möglichleiten herleiten und evaluieren

Zukunftsausrichtung der Produkt- und FuE-Portfolios

Neuentwicklungen:

·     Piloten, Prototypen, „minimum viable products (MVPs)“ entwickeln und validieren

·     Neue Geschäftsmodelle entwickeln

·     Kooperieren

Die Organisation vorbereiten

·     Beobachtung relevanter Veränderungen sicherstellen

·     Voraussetzungen für eigene Veränderung schaffen

Methodische Umsetzung Zukunftsradar

·     Kontinuierliches Scannen nach, sowie (Wieder-) Bewertung von Veränderungen

·     Nutzung von internen Quellen sowie Zulieferern und Kunden

·     Nutzung von externen Experten, Wissenschaftlern und Wissensträgern, sowie Kooperationen, Netzwerke und sonstige Beziehungen

Szenariobasierte Strategieentwicklung

·     Unterscheidung von endogenen und exogenen Treibern über Einflussanalyse

·     Sicherstellung der Konsistenz von Szenarien und  Strategien

·     Betrachtung und Evaluierung von verschiedenen Strategie- / Handlungsvarianten

Strategiespiele, Wettbewerbsanalyse

·     Identifikation und Simulation von Positionen, Interessen, Einflüssen und strategischen Aktionen und Reaktion der Marktakteure

Portfoliooptimierung

·     Evaluation des bestehenden Portfolios gegen Zukunftschancen am Markt (Neuinitiation und Deinvestition)

Geschäftsmodellentwicklung

·     Kollaborative Entwicklung Entwicklung zukünftsfähiger Geschäftsmodelle mit externen, zukünftig relevanten Stakeholdern

Wenn Transitionen zur Normalität werden – Erfolg ist kein Zufall

Wir leben in einer Zeit multipler sozio-technischer Transitionen. Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft verändern sich grundlegend und unwiderruflich. Neben der Mobilitätswende führen Digitalisierung, Energiewende, Kreislaufwirtschaft und viele andere Megatrends zu grundlegenden Veränderung der Art und Weise des Wirtschaftens in nahezu allen Industrien. Die zunehmende Vernetzung – nicht nur die technische – verlangt nach neuen Methoden, nach Offenheit und neuen Formen der Zusammenarbeit. Damit einhergehen seltene Chancen für Unternehmen, neue Wettbewerbspositionen mit nur schwer einholbaren Vorsprüngen zu erlangen. Die Unternehmen, die sich nicht verändern, werden irrelevant. Die aber, die sich vorbereiten und Strategie und Innovationsmanagement konsequent umstellen, werden durch Umbrüche gestärkt.

Dieser Artikel wurde ursprünglich veröffentlicht im Mobilitätsmagazin von Go-Ahead.

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